7 Jahre Holacracy – Patricia Gomez zieht im Interview Bilanz
Unic geht ins siebte Jahr mit Holacracy. Zeit, Bilanz zu ziehen. Was hat sich mit der neuen Arbeitsform verändert? Wie können sich Unternehmen aus ihren formalisierten Strukturen befreien? Welche Herausforderungen und Vorteile birgt diese Organisationsform, und die Transformation selbst? Diese und andere Fragen beantwortet Patricia Gomez, Senior Application Architect bei der Unic, im folgenden Interview. Erfahre, warum berufliche Freiheit auch viel Verantwortung mit sich bringt und warum ein dynamisch agiler Ansatz sich positiv auf Veränderungen auswirkt.
Welche Erfahrungen habe ich mit Holacracy gemacht?
Meine Erfahrungen mit Holacracy lassen sich am besten mit dem Schritt in die Selbstständigkeit vergleichen, dem Auszug aus dem Elternhaus. Anfangs ist man begeistert von der neu gewonnenen Freiheit. Die Realität holt einen jedoch schnell ein, mit dieser Freiheit gehen auch eine ganze Reihe von Verpflichtungen bzw. Verantwortungen einher – Kochen, Putzen, Einkaufen – plötzlich muss man den Alltag selbst organisieren. Diese Umstellung ist generell nicht einfach und erfordert einen intensiven Lernprozess.
Doch mit der Zeit findet man seinen eigenen Weg, die Dinge zu meistern. Man erkennt, dass nicht alles nach altem Muster laufen muss – vielleicht ist Bügeln nicht zwingend notwendig, aber tägliche Haushaltsaufgaben wie Müllentsorgung, Treppenhausreinigung oder Staubsaugen dagegen schon. Die Prioritäten setze ich; meist nach Absprache mit der Familie. Und genauso handhabe ich es innerhalb der Unic; auf Basis der Holacracy.
So erhalten die Mitarbeiter:innen von Unic die Möglichkeit, ihre Stimmen mit ins Unternehmen einzubringen und eigene Veränderungswünsche voranzutreiben. Den klassischen Umweg über ein großes Entscheidungsgremium sucht man bei uns vergeblich. Selbst kleine Anpassungen, die den Arbeitsalltag erleichtern, sind schnell realisiert.
Für mich persönlich steht Holacracy auch für ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Wenn das Team Erfolge erzielt, weiß ich, dass ich dazu beigetragen habe. Es ist das Bewusstsein, Teil eines größeren Ganzen zu sein und gemeinsam etwas zu erreichen. Die Wertschätzung eines jeden Einzelnen macht Holacracy für mich so wertvoll.
Welche Vorteile sehe ich für mich persönlich mit Holacracy?
Holacracy fördert in hohem Maße Transparenz und Verständnis innerhalb einer Organisation. Durch klar definierte Ziele und Strategien der einzelnen Kreise wird ersichtlich, warum spezifische Absichten zu bestimmten Entscheidungen führten. Diese Transparenz hilft mir persönlich, den Kurs der Organisation zu verstehen und unterstützt mich bei der Mitwirkung an wichtigen Entscheidungsprozessen.
Ein weiterer entscheidender Vorteil von Holacracy ist die Flexibilität: Sollten sich die Ziele als nicht mehr zielführend erweisen oder die Strategien nicht den gewünschten Erfolg bringen, besteht die Möglichkeit – und sogar die Notwendigkeit – regelmäßige Anpassungen vorzunehmen. Hierfür betrachtet man regelmäßig den gesetzten Purpose (Ziel) inkl. der dazugehörigen Strategie des jeweiligen Teams (auch Kreis genannt).
Dieser dynamische Ansatz erlaubt es, auf Veränderungen schnell zu reagieren und die Organisation kontinuierlich weiterzuentwickeln, ähnlich wie wir es im alttäglichen Leben ständig passiert.
Holacracy bietet mir die Transparenz, die mir persönlich hilft, den Kurs der Organisation zu verstehen und unterstützt mich bei der Mitwirkung an wichtigen Entscheidungsprozessen.
Patricia Gomez, Senior Application Architect bei der Unic
Was sind die größten Herausforderungen für mich sowie für Unic hinsichtlich einer Holacracy geführten Unternehmung?
Die Implementierung von Holacracy stellt sowohl für mich persönlich als auch für das Unternehmen Unic eine Reihe von Herausforderungen dar.
Eine wesentliche Herausforderung für mich ist die Übernahme von Verantwortung. In einem holakratischen System sind Prozesse und Rollen klar definiert. Und jeder Mitarbeitende ist sich bewusst, wie er gemeinsam mit den anderen Teammitglieder:innen den erwähnten Fortschritt bzw. Erfolg erarbeitet. Um letzteres zu gewährleisten, muss ich also innerhalb einer holakratisch geführten Organisation selbst aktiv sein und die Initiative übernehmen.
Dies betrifft auch den Beförderungsprozess, da es keinen Vorgesetzten gibt, der mich für eine Beförderung vorschlägt. Stattdessen liegt es an mir, die Initiative zu ergreifen und meine Beförderung selbst zu begründen. Dies motiviert mich, kontinuierlich an meiner persönlichen und beruflichen Entwicklung zu arbeiten, mich weiterzubilden und meine Komfortzone zu verlassen.
Für Unic als Unternehmen besteht die größte Herausforderung darin, die Arbeitsweise für die Mitarbeitenden zu optimieren und effizienter zu gestalten. Zudem muss Unic den Mitarbeiter:innen genügend Freiheiten lassen, das gesetzte Ziel zu erreichen. Der Weg sowie das Tooling sind dabei flexibel zu gestalten.
Da Unic in verschiedenen Fachbereichen, technischen Disziplinen und an unterschiedlichen Standorten aktiv ist, werden die Kernaufgaben auf verschiedene Kreise verteilt. Für Außenstehende kann die Funktionsweise dieser Kreise wie eine Blackbox erscheinen, deren interne Abläufe zunächst nicht bekannt oder relevant sind. Die Herausforderung besteht darin, die Kreise so zu gestalten und zu koordinieren, dass sie effektiv zusammenarbeiten und die Unternehmensziele erreichen, während gleichzeitig Transparenz und Verständlichkeit für alle Beteiligten, auch für Kund:innen, klar zu erkennen sind.
Wo würde ich heute rückblickend ein besonderes Augenmerk darauflegen?
Rückblickend würde ich besonderes Augenmerk auf die Notwendigkeit einer offenen Einstellung und Vertrauens legen, die für die erfolgreiche Einführung von Holacracy unerlässlich sind.
Zudem können anfangs einige Meetings verwirrend erscheinen oder sogar unnötig wirken. Doch mit regelmäßiger Durchführung entfalten sie ihren wahren Wert als effektive Instrumente für den Informationsaustausch, die Kontrolle und die Bearbeitung von Spannungen. Die Idee, dass die Agenda eines Meetings dynamisch wachsen kann, war vor der Einführung von Holacracy eine ungewohnte Praxis.
Vertrauen und Geduld sind dabei zentrale Elemente. Diese Herausforderung ist jedoch nicht völlig neu. Als wir beispielsweise damals SCRUM für das Projektmanagement einführten, begegneten wir dieser Methode ebenfalls mit Skepsis: Ein 15-minütiges Meeting jeden Tag? Doch genau wie damals, zeigt sich, dass die anfängliche Skepsis mit der Zeit der Erkenntnis weicht, dass solche Ansätze tatsächlich einen Mehrwert bieten.
Für Unternehmen, die sich auf die Reise machen, empfehle ich ...
...keine Angst zu haben und den Mut nicht zu verlieren. Der Übergang zu Holacracy ist keine Revolution, vielmehr eine Evolution. Es kann einige Monate dauern, bis Holacracy vollständig integriert ist und seine volle Wirkung entfaltet. Diese Zeit bietet jedoch eine hervorragende Gelegenheit, die Aufgaben und Prozesse des Unternehmens genau zu analysieren und ggf. neu zu definieren. Hat man diesen Punkt erst einmal erreicht, ist es schwer vorstellbar, wieder in eine traditionelle, hierarchisch strukturierte Arbeitsumgebung bzw. Organisation zurückzukehren.