7 Jahre Holacracy – Dirk Nölke zieht im Interview Bilanz
Unic geht ins siebte Jahr mit Holacracy. Zeit, Bilanz zu ziehen. Was hat sich mit der neuen Arbeitsform verändert? Wie können sich Unternehmen aus ihren formalisierten Strukturen befreien? Welche Herausforderungen und Vorteile birgt diese Organisationsform, und die Transformation selbst? Diese und andere Fragen beantwortet Dirk Nölke, Principal Consultant bei der Unic, im folgenden Interview. Erfahre, warum die Transformation zur Holacracy etwas mit Star Wars bzw. Yoda zu tun hat; und warum traditionelle Organisationsstrukturen nicht zwingend schlecht sein müssen.
Welche Erfahrungen habe ich mit Holacracy gemacht?
Meine Erfahrung mit Holacracy beschreibt eine Reise voller Lernmomente und Anpassungen, die sowohl die Kommunikation als auch die Teamarbeit in unserem Unternehmen maßgeblich verbessert haben. Als wir von einer traditionellen Führungsstruktur zu Holacracy wechselten, stand ich zunächst vor der Herausforderung, meine Rolle als Führungskraft neu zu definieren. Es ging darum, Verantwortung abzugeben und meinen Kolleg:innen zu ermöglichen, sich in die Selbstorganisation einzufinden. Das galt natürlich auch für mich selbst.
Ständige Optimierung von Prozessen und Tätigkeiten
Diese Umstellung war anfangs für viele eine große Herausforderung, hatte aber einen tiefgreifenden Einfluss auf die gesamte Organisation. Eines der Schlüsselelemente von Holacracy ist die ständige Optimierung von Prozessen und Tätigkeiten. Das hat uns noch stärker geholfen, aus Fehlern zu lernen und uns kontinuierlich zu verbessern. Diese Dynamik führte zu einer anfänglichen Euphorie im Team, da wir alle das Gefühl hatten, aktiv an der Gestaltung unserer Arbeitsumgebung mitzuwirken. Allerdings wurde schnell klar, dass sich innerhalb der Holacracy die Verantwortlichkeiten veränderten. Einige konzentrierten sich auf organisatorische Aspekte, während andere sich auf die Durchführung der Projekte fokussierten. Interessanterweise ermöglicht Holacracy, dass beide Tätigkeitsfelder von einer Person wahrgenommen werden können, was eine flexible Anpassung an die Bedürfnisse des Unternehmens und der Mitarbeiter:innen fördert.
Durch die klare und stets einsehbare Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die Förderung von Transparenz und Eigenverantwortung konnten wir zudem die Kultur der offenen Kommunikation noch verstärken. Dies hat nicht nur die Zusammenarbeit innerhalb der Teams gestärkt, sondern auch zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit geführt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Holacracy uns geholfen hat, eine dynamischere und flexiblere Organisationsstruktur zu schaffen, die sowohl die individuelle als auch die kollektive Entwicklung fördert.
Welche Vorteile sehe ich für mich persönlich mit Holacracy?
Besonders hervorheben möchte ich die vielfältigen Rollen und Tätigkeiten, in die ich bei Unic eintauchen kann. In den knapp 13 Jahren bei Unic sammelte ich beispielsweise zunächst Erfahrungen in der Projektleitung, dem Anforderungsmanagement und unterstützte zusätzlich das Marketing mit meinen Erfahrungen. Aktuell bin ich beratend in Transformationsprojekten mit Fokus auf den digitalen Kanälen wie z.B. E-Commerce tätig, was die Vielseitigkeit einer beruflichen Laufbahn innerhalb der Holacracy unterstreicht. In einer klassischen Führungsorganisation wäre eine solche Entwicklung vermutlich schwieriger zu realisieren. Wichtig war mir bei all diesen Tätigkeiten stets, einen Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen.
Was sind die größten Herausforderungen für mich sowie für Unic mit Holacracy?
Die Offenheit zu haben, dass Vorschläge, die man selbst intuitiv für nicht so sinnvoll erachtet, dennoch in der Organisation verankert werden – sofern nicht z.B. ein nachweisbarer Schaden für das Unternehmen dagegen spricht. Das dahinterliegende Prinzip »Safe enough to try« ist grundsatzlich toll, allerdings je nach Vorschlag auch ab und an persönlich nicht ganz einfach nachzuvollziehen. Das gilt natürlich auch umgekehrt bei meinen Spannungen (Vorschläge, Ideen, Wünsche) aus Sicht der anderen.
Anerkennung und Förderung
Eine der zentralen Herausforderungen in einer holakratischen Organisation ist die Anerkennung und Förderung der unterschiedlichen Tätigkeiten in den Rollen der Personen. Bei Unic verfolgen wir schon von Anfang an die Fachkarriere. Dort ist die Schwierigkeit einen Weg zu finden, wie das umfassende Know-how und die Tätigkeiten in den unterschiedlichen Rollen jedes Einzelnen in Kombination mit der Fachkarriere gewürdigt werden kann. Oftmals tragen Mitarbeiter:innen in verschiedenen Arbeitsfeldern zum Unternehmenserfolg bei, was sich entsprechend in Beförderungen und Gehaltsentwicklungen widerspiegeln sollte. Doch nicht jedes Engagement fließt dabei in die Bewertung mit ein bzw. die Gewichtung stellt eine Herausforderung dar. Dabei sollte die Transparenz im Umgang mit Verantwortlichkeiten im Vordergrund stehen. Obwohl einzelne Personen für bestimmte Bereiche verantwortlich sind, liegt die wahre Herausforderung darin, diese Verantwortung zu bewerten und kollektiv zu tragen.
Ebenfalls herausfordernd: In der Holakratie gibt es keine traditionelle Delegation von Aufgaben »nach unten«. Diese Besonderheit wird deutlich, wenn neue Mitarbeiter mit Leadership-Qualitäten gesucht werden. Diejenigen, die proaktiv denken, ihre Verantwortung ernst nehmen und damit das Unternehmen voranbringen, finden sich gut bei der Unic ein. Sie stellen ihre eigene Verantwortung in den Mittelpunkt und treiben Veränderungen voran. Ehemalige Führungskräfte, die nicht bereit sind, auf ihren Status zu verzichten, werden sich in unserer Organisationsstruktur schwer zurechtfinden.
Dirk Nölke, Principal Consultant
Du musst Dich stetig fragen, ob es besser ist, wenn oben jemand sagt, Du hast Mist gebaut. ...oder wenn Du Dir selber eingestehst, dass das Mist war!
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Ankommen in der Holacracy. Viele Kolleg:innen tun sich zu Beginn schwer, alte Gewohnheiten abzuschütteln und ihre Rolle innerhalb der holakratischen Strukturen neu zu definieren. Obwohl Veränderungen möglich sind, erweisen sie sich oft als herausfordernd. Die Kunst liegt darin, eine Balance zwischen individueller Freiheit und kollektiver Verantwortung zu finden, um so die Transparenz und Effektivität der Organisation zu steigern.
Wo würde ich heute rückblickend ein besonderes Augenmerk darauflegen?
Es ist eine Herausforderung, einzelne Aspekte aus einem so komplexen System - einem organisatorischen Ökosystem - herauszugreifen. Jede Veränderung in einem Bereich zieht fast zwangsläufig Veränderungen in anderen Bereichen nach sich. Insgesamt hat Unic den Übergang zur Holacracy ziemlich gut bewältigt. Schon früh wurde auf offene Kommunikation gesetzt, und heute sind die meisten Informationen für alle Mitarbeiter:innen frei zugänglich.
Eine besondere Herausforderung stellen dabei die KPIs dar; es geht darum, wie jeder Einzelne mit diesen Zahlen umgeht. Sind die Zahlen positiv, scheint alles in bester Ordnung. Doch was passiert, wenn die Zahlen einmal nicht so gut ausfallen? In solchen Fällen liegt die Verantwortung bei jedem Einzelnen und nicht, wie früher, beim Teamleiter. Die jeweiligen Mitarbeiter:innen sind dann gefordert, selbstständig Veränderungen zur Optimierung der KPIs vorzuschlagen oder ggf. gleich umzusetzen – das ist der Kern der Selbstverantwortung.
Für Unternehmen, die sich auf die Reise machen, empfehle ich ...
Das Anschauen von Star Wars bietet eine lehrreiche Parabel, insbesondere in »Das Imperium schlägt zurück«, wo der junge Skywalker während seiner Jedi-Ausbildung versucht, sein Raumschiff aus dem Sumpf zu heben. Für Luke scheint dies ein unmögliches Unterfangen. »Ich will es versuchen«, sagt er, worauf Yoda entgegnet: »Es gibt kein Versuchen. Tue es oder tue es nicht.« Diese Weisheit lässt sich auch auf den Wechsel eines Betriebssystems übertragen. Anfangs mag sich alles fremd anfühlen, die Arbeit könnte langsamer vonstattengehen, und es könnten sogar negative Effekte spürbar sein. Wenn man jedoch nicht die Vorteile des neuen Systems erkennt, wird der Weg zurück nur umso schmerzhafter. Anfangs verliert man diejenigen, die nicht zu Holacracy wechseln wollen, und später möglicherweise auch die, die bleiben möchten. Grundsätzlich ist der Weg zu einer granulareren Steuerung des Unternehmens durch Holacracy der richtige Schritt.
Vertrauen in Führung
Und das oben erwähnte Delegieren von Aufgaben nach unten ist nicht immer der einzige Weg. Vertrauen spielt eine entscheidende Rolle in der Führung, und dies gilt sowohl für Holacracy als auch für traditionelle Hierarchien. Der Erfolg einer Organisation hängt maßgeblich von der Qualität ihrer Führung ab. Es gibt zahlreiche Beispiele hierarchischer Strukturen, in denen Kommunikation, Transparenz und Agilität mehr als nur leere Worte sind. In solchen Fällen vertraut das Führungspersonal den Teams voll und ganz und traut den Expert:innen zu, ihre Arbeit eigenständig und effektiv zu erledigen. Sie leiten, räumen den Weg frei und geben Richtung, ohne jedoch im klassischen Sinne zu delegieren. Diese Art der Führung - Servant Leadership genannt - zeigt, dass auch innerhalb von hierarchischen Strukturen ein hohes Maß an Selbstorganisation und Eigenverantwortung möglich ist – strukturelle Veränderungen sind allerdings ein wesentlich holprigerer Weg als in einer responsiven Organisationsform.